Gedanken zur Krankensalbung
Die längste Zeit seines Lebens war er auf den Rollstuhl angewiesen. Nach einer Erkrankung in der Kindheit hat er auf seinen Beinen nicht mehr stehen, geschweige denn gehen können. Als er mit 80 Jahren ins Krankenhaus kam und aufgrund einer schweren Erkrankung ganz auf die Pflege anderer angewiesen war, bat er um die Krankensalbung. „Aber machen Sie das bitte so wie früher, Herr Pastor. Ich möchte auf der Stirn, auf den Händen und auch auf den Füßen gesalbt werden. Ich brauche diese Vergewisserung ganz von Gott gehalten und in ihm geborgen zu sein – auch mit meinen Füßen, die mich kaum getragen haben.“
Vor Jahren schon hat mir ein befreundeter Priester von dieser Begebenheit erzählt. Sie hat mich damals tief bewegt und bewegt mich noch. Dieser Mann, der sein Leben lang an den Rollstuhl gebunden war, hat die Bedeutung der Krankensalbung in ihrer ganzen Tiefe erfasst und mit einfachen Worten zum Ausdruck gebracht. Wenn eine Stelle der Haut wund oder krank ist, kann Salbe Linderung oder gar Heilung bewirken. Das Auftragen der Salbe durch einen anderen Menschen ist dabei schon ein sehr persönlicher, fast intimer Vorgang. Es ist ja gar nicht so einfach, einem anderen das hinzuhalten, was wund oder krank ist und sich gerade dort berühren zu lassen. Und gleichzeitig tut es gut und bewirkt Gutes. Im Buch des Propheten Jesaja finde ich im 53. Kapitel eine für mich sehr beeindruckende Stelle. Jesaja beschreibt einen Gottesknecht, der seinem Volk Erlösung und Heilung bringen soll. Von ihm sagt er: „Aber er hat unsere Krankheit getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen.“ (53, 4) – Ich sehe als Christ in Jesus Christus die Erfüllung dieses Prophetenwortes. In seinem
Weg in das Leiden und an das Kreuz trägt er als Gottes Sohn unsere Krankheit mit und nimmt unsere Schmerzen auch auf sich. Vor diesem Hintergrund bedeutet die Salbung, die ein Mensch in der Situation von Krankheit und Schwäche sakramental empfängt: Er darf die Zusage Jesu körperlich spüren und in einem begleitenden Schrift – und Gebetswort auch hören, dass Jesus es ist, der ihn gerade in seiner Krankheit, seiner Schwäche, seiner Hinfälligkeit, vielleicht seiner Verzweiflung oder auch seinem Alter trägt und hält. So wird die Salbung mit geweihtem Öl zu einem spürbaren Zeichen der Nähe Jesu, der stärkt und ermutigt. Diese Vergewisserung will eine Hilfe sein, die eigene Situation anzunehmen und neue Kraft zu schöpfen – Daher formuliert der Jakobusbrief eine deutliche Aufforderung an die Gemeinde: „Ist einer von euch krank, dann rufe er die Ältesten (Presbyter) der Gemeinde zu sich. Sie sollen über ihn beten und ihn im Namen des Herrn mit Öl salben. Das Gebet aus dem Glauben wird den Kranken retten und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden begangen hat, werden sie ihm vergeben.“ (5,14f)
Der Mann, von dem mein Freund mir erzählt hat, hat sich nach dieser Zusage – eben von Jesus gehalten und getragen und in ihm geborgen zu sein – gesehnt. Darum hatte er den Wunsch nicht nur auf der Stirn und auf den Händen gesalbt und berührt zu werden, sondern auch an seiner schwächsten Stelle, an den Füßen, die ihn die meiste Zeit seines Lebens nicht haben tragen können. Er hat das Sakrament auch in dieser – heute eher unüblichen – Weise empfangen.
Die sakramentale Berührung in seiner Krankheit und an seiner schwächsten Stelle war für ihn ein großer Trost.
Ich könnte aus meiner eigenen Erfahrung heraus manche Situation erzählen, in der ich es ähnlich erlebt habe: Das Sakrament der Krankensalbung schenkt in seiner spürbaren Zusage der liebenden, vergebenden und tragenden Nähe Jesu Kraft und Trost. Ich möchte daher sehr dazu ermutigen, dieses Sakrament in unterschiedlichen Erfahrungen von Krankheit, körperlicher Schwäche oder auch angesichts einer bevorstehenden schweren Operation zu empfangen. In erster Linie ist es ein Sakrament, das Trost spendet, das Ermutigung schenkt und das helfen will – in der Gewissheit ganz in Gott geborgen zu sein – die Zeit der Krise durchzustehen. Es kann auch ein Sakrament sein, das den Weg begleitet, der von dieser Welt in das himmlische Vaterhaus führt. Sicher, die Spendung dieses Sakramentes ist dem Priester vorbehalten. Aber vielleicht finden wir in der Kirche ja auch einen Weg, den Spenderkreis zu erweitern, um möglichst vielen den
Empfang dieses Sakramentes zu ermöglichen.