Über die Ehe

„Im Nachhinein, so in der Rückschau, da wirkt es fast wie ein Wunder, dass wir uns gefunden haben . . . “ – nicht selten darf ich diesen Satz hören bei einem vorbereitenden Gespräch auf die kirchliche Eheschließung.
Zugegeben, ein bisschen provoziere ich das auch, denn es ist mir ein großes Anliegen zu erfahren, wie sich die Beiden, die jetzt heiraten wollen, kennengelernt haben, wie ihre Beziehung einmal begonnen hat. Bei manchen ging es ganz plötzlich – Liebe auf den ersten Blick. Bei anderen hat sich der Blick der Liebe erst schrittweise entwickelt. Sie kannten sich schon lang und merkten nach und nach, die Gefühle für den anderen gehen tiefer, da ist mehr als Freundschaft, mehr als eine gute Bekanntschaft.
Wie es auch sei – dass Menschen die Liebe zu einem anderen Menschen entdecken und davon erfüllt werden, bleibt etwas Unverfügbares und irgendwie wunderbar! Im Johannesevangelium finde ich dazu das Wort Jesu: „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt.“(Joh 15,16) Ein Brautpaar, das sich dieses Wort Jesu als Trauspruch und als Hochzeitsevangelium gewählt hatte, sagte dazu: „Wir glauben, dass hinter dem Wunder unserer Begegnung der Ruf Gottes steckt. Wir glauben, dass wir füreinander berufen sind. Das gibt uns die Kraft, Ja zueinander zu sagen.“
Wenn Menschen die Liebe zueinander entdecken und diese Liebe in der Ehe leben wollen, dann ist das kein Menschenwerk, sondern Gotteswerk, dann ist das ein Geschenk Gottes – seine Berufung. Im Epheserbrief des Apostels Paulus findet sich dazu eine bewegende Stelle. Zunächst zitiert Paulus aus der Schöpfungsgeschichte „Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen und sich an seine Frau binden. Und sie werden ein Fleisch.“(Gen 2,24) Und er fährt dann fort: „Dies ist ein tiefes Geheimnis. Ich beziehe es auf  Christus und die Kirche.“ (Eph 5, 31-32) Dabei geht es Paulus um die Lebens- und Liebesgemeinschaft zwischen Christus und der Kirche.  Dahinein stellt er die eheliche Lebens- und Liebesgemeinschaft von Mann und Frau und bringt so den sakramentalen Charakter der Ehe zum Ausdruck.Indem die Eheleute sich in Liebe aneinander binden spenden sie sich gegenseitig das Sakrament der Ehe, d.h. sie stellen in ihrer Beziehung die Lebens- und Liebesgemeinschaft zwischen Christus und seiner Kirche dar, ohne dass es da zwischen Mann und Frau eine wie auch immer geartete Hierarchie gäbe.
Auf sehr anschauliche Weise singen wir davon in einem modernen religiösen Lied, das gern zur Trauung gesungen wird (Text: Thomas Laubach 1989):

„Wo Menschen sich vergessen,
die Wege verlassen,
und neu beginnen, ganz neu,
da berühren sich Himmel und Erde,
dass Frieden werde unter uns,
da berühren sich Himmel und Erde,
dass Frieden werde unter uns.

Wo Menschen sich verschenken,
die Liebe bedenken,
und neu beginnen, ganz neu,
da berühren sich Himmel und Erde,
dass Frieden werde unter uns,
da berühren sich Himmel und Erde,
dass Frieden werde unter uns.“

Aus der Zusage zu leben, dass die eheliche Liebe ein Ort ist, wo Himmel und Erde sich berühren, kann eine große Quelle der Kraft und der Zuversicht sein. So  kann die Liebe über sich hinauswachsen im Ja zum Kind und in der Offenheit für andere Menschen. So heißt es in einem Segen, der oft bei der Trauung  gesprochen oder gesungen wird: „Wo Mann und Frau in Liebe zueinander stehen und füreinander sorgen, einander ertragen und verzeihen, wird deine Treue,  Gott, zu uns sichtbar. So bitten wir dich, heiliger Gott, schau gütig auf diese Eheleute, die vor dir stehen und deinen Segen erhoffen. Dein Heiliger Geist schenke ihnen Einheit und bewahre ihre Liebe in aller Bedrohung. Er lasse sie wachsen und reifen und einander fördern in allem Guten. Hilf ihnen eine christliche Ehe
zu führen und Verantwortung in der Welt zu übernehmen; verleihe ihnen Offenheit für andere Menschen und die Bereitschaft fremde Not zu lindern. Schenke ihnen das Glück, Vater und Mutter zu werden und hilf ihnen ihre Kinder christlich zu erziehen.“

Mir als Seelsorger tut es sehr gut, das Wunder der Beziehung, des Berufenseins von zwei Menschen füreinander erleben und in der Hochzeit feiern zu dürfen. Und  ich freue mich mit jedem Paar, das ich auf diesem Weg begleiten darf!
Gleichzeitig weiß ich auch, dass im Brautsegen nicht einfach so die Bitte steht: „Der Heilige Geist bewahre ihre Liebe in aller Bedrohung.“ Es gibt die Erfahrung  des Scheiterns der Beziehung, des Erkaltens oder Erlöschens der Liebe oder des Bruches in der Ehe. Wir brauchen in unserer Kirche Wege, um damit gut umzugehen:
Wege, die der Versöhnung mit der eigenen Geschichte dienen – auch und gerade wenn es die Geschichte eines Scheiterns oder eine Schuldgeschichte ist.

Wege, die einen Neuanfang ermöglichen

Wege, die nicht ausschließen, sondern den Zugang zur innersten Mitte unseres Glaubens – und das ist die sich selbst verschenkende Liebe Jesu Christi in der Eucharistie – offen und damit das Vertrauen auf die Liebe und Güte Gottes lebendig halten. So möchte ich an den Schluss dieser kleinen Betrachtung für unseren Pfarrbrief ein Gedicht von Hermann Josef Coenen stellen. Es trägt den Titel „Trauung“:

TRAUUNG

Traust du dich?
Traust du dir?
Traust du mir etwas zu?
Hast du Vertrauen in das Leben?
Trau doch dir.
Trau doch mir.
Trau doch Gott etwas zu.
Nur wer vertraut, schafft das Leben.

– Klaus Martin Niesmann, Pfarrer –